Ein Auszug aus der Predigt von Jurek Schulz an der Israelkonferenz 04 des Evangeliums Dienstes für Israel
Das Thema lautet: „Tröstet, tröstet mein Volk.“ Von diesem Trost ist auch in Epheser 2,17-22 die Rede. „Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.“
Wo zeigt sich der Trost für Israel?
Israel musste in seiner rund viertausendjährigen Existenz wie kaum ein anderes Volk leiden. Immer wieder gab es Pläne für eine Endlösung der Judenfrage, und diese führten stets zu Verfolgung, Vertreibung bis hin zur Ermordung vieler Juden und zum Exil. Tränen, Wunden und Not waren so die ständigen Begleiter Israels. Dies kommt u.a. im Buch der Klagelieder ergreifend zum Ausdruck, wenn es dort heißt: „Mein Auge fließt von Tränen, denn der Tröster, der meine Seele erquicken soll, ist ferne von mir“ (Klgl 1,16).
Doch der Beistand ist da, auch wenn er nicht gleich als solcher erkannt wird. Er kommt allerdings ganz unscheinbar. Gott, der Herr, fand immer wieder Wege, die gerade in ihrer Unscheinbarkeit eine Herausforderung für den Glauben der Menschen darstellten. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen:
Ein Zeichen des Trostes
In Jesaja 7 wird über eine große Bedrängnis für Israel berichtet. Jerusalem ist von Feinden belagert und soll vernichtet werden. „Das Herz Ahas‘, des Königs von Juda, bebte vor Angst“, heißt es wörtlich, ebenso das des Volkes. In dieser Situation fordert Gott Jesaja auf, zu Ahas zu gehen und ihm Trost zu spenden mit den Worten: „Fürchte dich nicht und dein Herz sei unverzagt“ (V. 4). Zur Bekräftigung seiner Botschaft musste er seinen Sohn „Schear-Jaschub“, d.h. „Ein Überrest wird umkehren“, mitnehmen. Ein kleiner Junge wurde so zur Botschaft für das Volk und für Ahas. Angesichts der damaligen Not erschien dieses Zeichen und die damit verbundene Verheißung ziemlich unscheinbar.
Heute ist es das Kreuz, das Israel als zu unscheinbar erscheint, und es ist doch die Kraft Gottes für den, der glaubt. Paulus bringt die Anstößigkeit des Kreuzes auf den Punkt, wenn er im 1. Korintherbrief schreibt: „Wir verkündigen Christus als den Gekreuzigten, den Juden ein Skandal, den Nichtjuden eine Torheit, denen aber, die berufen sind, verkündigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1.Kor 1,23+24).
Ein weiteres Beispiel der Unscheinbarkeit: Am 17. März 1834 wurde in Schorndorf Gottlieb Daimler geboren. Er erfand den Benzinmotor. Der deutsche Kaiser urteilte darüber: „Diese Narretei wird bald vergehen.“ Und doch hat diese unscheinbare Erfindung die Welt radikal verändert.
Erlebt
Das Evangelium erscheint vielen auch als eine „Narretei“, aber in ihm liegt die Kraft Gottes für jeden, der glaubt. Das kann ich persönlich bezeugen. Auch mir ist in Christus Gottes Kraft und damit sein Trost zuteil geworden. Von mir aus wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, mich mit dem Christentum zu beschäftigen, da ich meine eigenen Vorstellungen davon hatte. Für mich waren alle Christen Antisemiten und Christus selbst der Urheber des Antisemitismus. Diese Überzeugung prägte mich tief.
In Frankreich bekam ich zum ersten Mal ein Neues Testament. Ich begann darin zu lesen, verstand aber nicht viel. Irgendwann später sagte eine Christin zu mir: „Gott sucht die, die nicht nach ihm fragen.“ Ich fragte zurück: „Wen soll ich denn suchen?“ Und sie sagte: „Christus!“ Diese einfache Aussage berührte mein Herz und ich begann, das Neue Testament intensiver zu lesen und darin zu suchen. Andere Christen halfen mir schließlich, den Trost im Evangelium des Friedens zu finden und ich erfuhr, was es heißt: „Er ist unser Friede.“ Er, Jesus, ist unser Schalom. Durch ihn können wir aufatmen und leben.
Die neue Einheit der Glaubenden
Im Epheserbrief macht der Apostel Paulus deutlich, dass beide, Juden und Nichtjuden, eins geworden sind. Die Basis unserer Einheit ist die Vergebung und Versöhnung durch den Messias. Er ist unsere gemeinsame Mitte und das Fundament, auf dem wir stehen können. Er ist unser Friede und unser Trost. Paulus bezeichnet den Überrest der zum Glauben an Christus gekommenen Juden als das wahre Israel. Die Nichtjuden sind durch den Glauben zum Volk Gottes hinzugekommen. Beide zusammen bilden den Leib Christi. Dieser Leib ist der neue Tempel Gottes auf Erden, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten und dazu berufen, die Wohltaten Gottes in dieser Welt zu verkündigen.
Geschenk der Heilsgewissheit
Gott gibt uns das Geschenk der persönlich erfahrbaren Heilsgewissheit und Vergebung, eine Erfahrung, die dem traditionellen Judentum fremd ist. Durch dieses Geschenk geschieht bei uns nicht nur eine Erneuerung des Denkens, sondern auch des Handelns. Martin Goldsmith hat das in seinem Buch „Jesus and his relationship“ (wörtlich: „Jesus und seine Beziehung“) so ausgedrückt: „Er ist unser Friede, mein Friede in meiner Seele, der Friede in meinem Herzen und unser Friede, der uns hilft, versöhnt miteinander zu leben.“
Trennung statt Einheit
Schon ab dem 2. Jahrhundert kam es zu theologischen Entscheidungen, die den Antijudaismus begünstigten. Am Ende führte diese Entwicklung zur vollständigen Trennung von Juden und Judenchristen einerseits und nichtjüdischen Christen andererseits. Als Folge davon erlosch die judenchristliche Bewegung, obwohl es immer einzelne christusgläubige Juden gab. Erst mit dem Aufkommen des Pietismus begann wieder erneut das Interesse zu wachsen, auch Juden das Evangelium, die frohe Botschaft ihres Trostes, mitzuteilen.
Der neue Tempel ohne trennende Mauern
Inzwischen gibt es wieder eine messianische Bewegung, sogar in Deutschland. Aber es gibt noch kein selbstverständliches Miteinander von nichtjüdischen Christen und messianischen Juden. Da muss noch manches wachsen, bis auch sie selbstverständlich zum Leben der Kirchen und Gemeinden gehören, denn die Mauer der Trennung ist zerbrochen.
Wir sind als Juden und Nichtjuden eine Einheit. Und wir haben den gemeinsamen Auftrag, der Welt zu verkündigen: „Er ist unser Friede“ und „Lasst euch versöhnen mit Gott.“ Alles andere ist von untergeordneter Bedeutung. In ihm sind wir eins. Der neue Tempel hat keine trennenden Mauern. Wir gehören als Juden und Nichtjuden zusammen.
Wunder von Theresienstadt
Ich möchte meine Ausführungen mit einem Beispiel abschließen. Vor drei Wochen war ich in Tschechien. Dort hatte ich u.a. auch die Gelegenheit, die Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt zu besuchen. In Hamburg, wo ich lebe, hatte ich immer wieder von dem Judenchristen Arthur Goldschmidt gehört. Ich wusste bis dahin aber nicht, dass durch diesen Mann mitten in der Hölle des Konzentrationslagers eine 2000-köpfige Gemeinde aus Juden und Nichtjuden entstand. Die Glieder dieser Gemeinde halfen sich gegenseitig zu überleben. Sie spendeten unter Einsatz ihres Lebens Trost und Ermutigung, vermittelten Kraft und riefen zur Versöhnung auf. Sie überwanden die Hölle des Hasses mit dem Bekenntnis „Er ist unser Schalom zur Versöhnung“. Viele fanden durch ihr Beispiel zum Glauben.
Als neuer Tempel Gottes gehören wir zusammen
So wollen auch wir beten und daran festhalten: Wir gehören zusammen und wir haben einen gemeinsamen Auftrag. Wir wollen einander in Demut ermutigen und uns gegenseitig helfen, der Welt zu sagen: „Jesus ist der Friede und unser Trost!“