Rosch HaSchana – Jüdisches Neujahr

Mit dem Ende des jüdischen Jahres erinnert sich der rabbinisch orientierte Jude an die Vergänglichkeit seines Lebens. Im letzten Monat (Elul) ertönt beim täglichen Gottesdienst eindringlich und mahnend das Schofar (Widderhorn). Sein Klang soll eine Art Weckruf für den Zuhörer sein sowie eine Ermahnung, an sein Ende und an den Richter des Lebens zu denken, der auf ihn wartet.

An Rosch HaSchana, dem Neujahrstag am 1.Tischri, zieht man dann Bilanz  über das vergangene Jahr. Dabei steht die Sehnsucht nach Vergebung von Schuld besonders im Vordergrund.

Nach 3. Mose 23,24  soll Israel am 1. Tag des siebten Monats (= Tischri) den Tag des Schofarblasens als Tag des Gedenkens feiern. Durch das babylonische Exil wurde dieser Tag zum Neujahrstag. Er wird auch als Geburtstag der Welt verstanden und erinnert an die Schöpfung.  Nach der Babylonischen Gefangenschaft fanden vom 1.-10.Tischri die Versammlungen des Esra (Neh. 8,2) statt.

So beginnen mit Rosch HaSchana zehn Bußtage, die am Abend des Jom Kippur (Versöhnungstag)  enden.

 

Tag der Rechenschaft

Nach jüdischer Überlieferung wird an Rosch HaSchana das Buch des Lebens aufgeschlagen, und Gott sieht auf alles Fehlverhalten und alle Schuldhaftigkeit während des vergangenen Jahres.

Der Mensch wird dadurch genötigt, Rechenschaft über sein sittliches  und religiöses Verhalten abzulegen. Es gibt nur eine Möglichkeit, sich aus Gottes Gericht zu retten und seine Gnade zu erfahren, indem alles Schuldhafte zwischen Menschen ausgeräumt wird. Denn schuldig wird man vor Gott durch sein Fehlverhalten am Nächsten.

Deshalb bittet man in diesen zehn Tagen um Verzeihung. Das geschieht   an Rosch HaSchana – Jüdisches Neujahr  selbst Verstorbenen gegenüber, indem man an deren Grab unter Zeugen bekennt und bereut.

Nach rabbinischer Vorstellung wenden Umkehr, Gebet und  Liebeswerke Gottes Gericht ab. So hofft der rabbinisch orientierte Jude, dass Reue und Wiedergutmachung die Schuld vor Gott tilgen können und Gottes Vergebung ihn wieder aufrichtet, obwohl heute wegen des fehlenden Tempels kein Blut mehr dafür vergossen wird, wie es nach 3. Mose 17,11 gefordert wird. Der Mensch möchte sich in diesen Tagen von seiner Schuld befreien und hofft, dass er für ein weiteres Jahr im Buch des Lebens eingeschrieben wird.

 

Gottesdienste

In der Synagoge herrscht die Farbe Weiß vor. Sowohl der Chasan  (Vorbeter) als auch der Schofarbläser tragen ihr weißes Sterbekleid. Anstelle des von Israel geforderten Opfers im Tempel werden  die in 4. Mose 28 und 29 geforderten zusätzlichen Opfer für Festtage durch zusätzliche Mussaf-Gebete ersetzt.

Im Mittelpunkt der Bußgebete steht der Satz: «Vater, wir haben gesündigt, sei uns gnädig.» Der Gottesdienst dauert ca. fünf Stunden. In ihm wird die Geburt und Opferung Isaaks gelesen – ein biblischer Abschnitt,  der aufzeigen sollte, dass Opfer Stellvertretung bedeutet. Wir können vor Gott nur leben, wenn jemand anders sein Blut für uns gibt.

Dabei knien unüblicher weise Vorbeter und Gemeinde nieder und berühren mit der Stirn den Boden und zeigen auf diese Weise, wer sie sind vor dem «einen, Heiligen, gelobt sei er». Während der Mussaf- Gebete ertönt das Schofar dreimal. Der erste Teil ist ein Weckruf. Dann folgt der trillernde Siegesruf und im letzten Teil ertönt der Jubelruf, der schrill und laut die Ohren der Hörer füllen soll.

 

Neujahrstradition

Es ist Brauch, einander an Rosch HaSchana Grußkarten mit guten Wünschen zum neuen Jahr zu senden. In manchen Familien werden zeichenhaft Teile eines süßen Apfels in Honig getaucht und mit dem Wunsch gegessen: «Es möge Gott gefallen uns ein gutes  und süßes Jahr zu schenken.» Mit dem Jahreswechsel soll ein neuer Anfang stattfinden.

 

Schofar und seine Bedeutung

Nach Maimonides (1135-1204) will das Schofar eindringlich ermahnen:

«Wacht auf, ihr Schläfer und denkt nach über eure Taten und gedenkt an euren Schöpfer, und kehrt um zu ihm in Buße. Gehört nicht zu denen, welche die Wirklichkeit verfehlen, indem sie Schatten nachjagen, die ihre Jahre damit vertun, dass sie nichtigen Dingen nachjagen, welche weder Nutzen noch Heil bringen. Habt wohl Acht auf eure Seelen, und bessert euren Charakter. Jeder von euch soll seine bösen Wege und Gedanken verlassen und zu Gott umkehren, dass er euch gnädig sein möge.»

Wenn an Rosch HaSchana der letzte Ton des Schofars verklungen  ist, dann bleibt das Schofar an den folgenden Bußtagen stumm.  Es ertönt erst wieder am Ende des Jom Kippur. Wie alle Tage im jüdischen Kalender beginnt der Versöhnungstag

am Vorabend des eigentlichen Feiertages, des 10. Tischri. Er bezieht sich nicht auf historische Ereignisse oder Gegebenheiten wie Saat und Ernte, sondern allein auf das Verhältnis des Menschen zu seinem Schöpfer, vor dem er sein Leben und auch das seiner Mitmenschen zu verantworten hat.

 

Gottesverhältnis

In der rabbinischen Lehre wird über den Jom Kippur gesagt: «Sünden zwischen Menschen und Gott sühnt der Jom Kippur, Sünden zwischen den Menschen sühnt er nicht.» Es ist ein Tag, an dem es einzig um das Verhältnis zwischen Gott und Mensch geht.  Deshalb muss sich der Mensch vorher selbst Hoffnung auf das Heil

schaffen, bevor er Heil von seinem Gott erwarten darf. Darum bewegt ihn die Frage: Wurde alles an- und ausgesprochen, was zu sagen und zu bekennen notwendig war? Der religiöse Jude weiß, dass Sünde die tödliche Bedrohung des Lebens ist. Als Zeichen der Buße tragen die Männer ihr eigenes, für ihren Tod vorgesehenes weißes Totengewand oder den Gebetsmantel (Tallit) in der Synagoge.

 

Abendgottesdienst

Der Vorbeter beginnt den längsten aller Abendgottesdienste mit der Einstimmung und dem feierlichen Gesang des Kol Nidre (Hebräisch für «alle Gelübde»). Sein Inhalt ist die Bitte, dass Gott die hier Versammelten von allen Gelöbnissen befreien möge, die man in der Not oder in der Freude, in Sehnsucht und Erwartung oder in Angst und Verzweiflung vor Gott ausgesprochen hat und dann   doch nicht halten konnte. Dabei sind nur die Gelübde gemeint, die zwischen dem Menschen und Gott abgelegt wurden und die keine Rechte und Ansprüche eines anderen Menschen berühren. Die Gläubigen werden mit dem Ruf des Schofars aus der Synagoge entlassen.

 

Fastentag

Jom Kippur ist der strengste Fastentag im jüdischen Jahr. Vom Fasten sind nur Schwerkranke, kleine Kinder und Wöchnerinnen ausgenommen. Alle anderen haben sich an das strenge Fastengebot zu halten. Sie dürfen sich weder baden noch gründlich waschen, keine Kosmetika oder Körperpflegemittel benutzen, sich keinen  Genuss gönnen und weder Lederschuhe noch luxuriöse Kleidung tragen.

 

Morgengottesdienst

Im Morgengottesdienst kommt Jesaja 58 zur Sprache, wo die eigentliche, von Gott gewollte Bedeutung des Fastens aufgezeigt wird. In den Zusatzlesungen geht es um die Einsetzung des Versöhnungstages für Israel und den hohepriesterlichen Dienst in der  Stiftshütte (3. Mose 16).Auf diese Weise wird in der jüdischen Gemeinde die Erinnerung an den Tempel und seinen Sühnedienst mit  den Tieropfern wach gehalten. Es musste Leben geopfert werden, damit Gott Leben erhalten konnte. Es musste Blut vergossen werden, damit der Mensch und das Volk Israel wieder rein wurden von ihren Sünden.

 

Opferdienst

Zur Zeit des Tempels wurde ein Ziegenbock für die unerkannten Sünden des ganzen Volkes geopfert (3. Mose 16; Hebr. 9,7). An Stelle des dreimaligen Opferdienstes im Tempel trat der dreimalige Gebetsdienst. In der Entwicklung und Entfaltung der rabbinischen Lehre sieht der modern religiöse Jude eine Überwindung des Tempel- und Opferdienstes. Für ihn gilt, dass der Mensch, der Sühne  schafft, auch Versöhnung empfängt. Deshalb bedürfe es für Israel  keines stellvertretenden Sühneleidens durch einen Erlöser. So endet  der Jom Kippur mit der Vergebungshoffnung, aber nicht mit Vergebungsgewissheit.  Denn es heißt im Talmud: «Die Sühne erfolgt  nur durch das Blut» und in 3. Mose 17,11: «Das Blut ist die Versöhnung, weil das Leben in ihm ist.» Darauf verweist auch der Hebräerbrief im Neuen Testament: «Ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung» (Hebr. 9,22). In Jeschua, dem Messias, erfahren  wir den Zuspruch: «Dir sind deine Sünden vergeben!» (Mt. 9,2).

Offen bleibt, ob die Christen in ihren Gottesdiensten die tiefe Betroffenheit  über die persönliche Schuld noch erleben, in der die schmerzhafte Reue und der ehrliche Wille zur Umkehr Ausdruck finden, wie dies beim jüdischen Volk am Jom Kippur der Fall ist.

Vergebungsgewissheit

Vergebungsgewissheit erhalten wir nur durch Gott selbst. Vergebung

können wir nicht produzieren, wir erhalten sie allein in der Beziehung  um Messias. Dieser hat seine Jünger beauftragt, bußfertigen Menschen in seinem Namen Sündenvergebung zuzusprechen (Joh. 20,23; 1. Joh. 1,7- 9). Deshalb kann der religiöse Jude ohne den Glauben an Jeschua, den Messias, nicht zur Vergebungsgewissheit gelangen. Der Gottesdienst in der Synagoge schließt mit dem Schema Israel Gebet («Höre Israel» nach 5. Mose 6,4) als Ausdruck der Vergebungshoffnung. Wenn sich die Tore des Jom Kippur schließen, dann werden nach rabbinischer Tradition auch bei Gott die Bücher über die Schicksale der Menschen geschlossen. Messianische Juden beten am Jom Kippur in besonderer Weise um die Errettung des jüdischen Volkes. Wenn auch jetzt schon viele einzelne Juden zum Glauben an den Messias finden, so warten wir noch auf den Tag, an dem ganz Israel den Messias anerkennen wird (Sach. 12,10; Röm. 11,25-26; Offb. 1,7).

Als letztes der drei Wallfahrtsfeste (2. Mose 23,14-17) feiert Israel Sukkot, das Fest der Laubhütten. Nach 3. Mose 23,33 ff. wird  es acht Tage lang gefeiert. Alle über 20-jährigen Männer müssen nach Jerusalem ziehen, um dort Sukkot zu begehen. Sukkot beginnt  am 15.Tag des siebten Monats Tischri, nur fünf Tage nach dem Jom Kippur, und endet mit dem Schlussfest am achten Tag, dem Schemini  Azeret. Sukkot ist ein Erinnerungsfest an die Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten, an die erste Wohnung in Freiheit und die Versorgung durch Gott während der Wüstenwanderung. Wie Passah und Schawuot ist es auch ein Erntedankfest. Die Wein- und Olivenernte  ist eingebracht. Die Arbeit auf der Tenne und in der Kelter ist beendet. Die Bußtage sind vorbei.Was jetzt bleibt, ist die große Freude des Dankes gegenüber Gott.

 

Sukkot zur Zeit des Tempels

Schon zur Zeit des Tempels zeigte sich der besondere Glanz dieses Festes. Die Leviten schritten über die 15 Stufen vom Männer- zum Frauenhof des Tempels. Auf jeder Stufe wurde ein Wallfahrtslied  (Psalm 120-134) gesungen, bei jedem Schritt zur nächsten Stufe das Schofar geblasen. Am siebten Tag bei Sonnenaufgang führte eine Prozession zum Teich Siloah, um Wasser zu schöpfen, das dann nach der Rückkehr über den Tempelaltar gegossen wurde. In diese Zeremonie hinein sagte Jesus: «Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen» (Joh. 7,37-38).

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